Beurteilung von Wärmebrücken Teil 5:
Rechtliche Aspekte zur Anwendbarkeit der DIN 4108
Maßnahmen gegen Schimmel an Wärmebrücken in der Wohnung
Dieser 5. Beitrag der Reihe „Beurteilung von Wärmebrücken bei Schimmel“ befasst sich mit Maßnahmen gegen Schimmel an Wärmebrücken. Wie muss ich in meiner Altbauwohnung Heizen und Lüften, damit kein Schimmel an Wärmebrücken entsteht. Der Beitrag setzt einen Schwerpunkt auf Betrachtungen zum Geltungsbereich der DIN 4108 Teil 2 von 2003. Darf die DIN 4108 Teil 2 von 2003 auf ein Haus, das älter ist als 2003, angewendet werden?
Vorgaben der DIN 4108 Teil 2 von 2003 gegen Schimmel
Die Beurteilung von Wärmebrücken bei der Feststellung der Ursachen für Schimmel in der Wohnung erfolgt heute auf Basis der Vorgaben der DIN 4108 Teil 2. In dieser Norm wurde 2003 ein Temperaturfaktor (ƒRsi) von 0,70 als Mindestanforderung in Sachen Wärmedämmung gegen Schimmel festgeschrieben. Im Grunde genommen kann man die DIN 4108 Teil 2 von 2003 unter „formaljuristischen Baumangelaspekten“ auf ein Haus, das vor 2003 erbaut wurde, allerdings nicht übertragen.
Schließlich muss eine Baukonstruktion lediglich die Anforderung an den Mindestwärmeschutz erfüllen, die zum Zeitpunkt der Errichtung des Bauwerks bestand. In der Rechtsprechung wird vielfach die Ansicht vertreten, dass Bewohner älterer Häuser das Heiz- und Lüftungsverhalten gegen Schimmel anpassen müssen. Beispielsweise in Häusern mit Errichtungsdatum vor 2003. Anpassen heißt in diesem Zusammenhang unter dem Strich: Dass man die Luftfeuchten so niedrig hält, dass auch an Wänden, die die Anforderungen in Sachen Wärmedämmung von 2003 nicht erfüllen, kein Schimmel entstehen kann. Das hört sich zwar ohne weiteres machbar an, ist es in vielen Fällen aber nicht.
Diese Rechtsauffassung wird in diesem Beitrag kritisch hinterleuchtet.
Anpassung der Raumluftfeuchtigkeit an die Bausubstanz gegen Schimmel
Der Temperaturfaktor (ƒRsi) der DIN 4108 Teil 2 ist ein Kriterium zur Beurteilung der Wärmedämmeigenschaften eines Bauteils. Ein Temperaturfaktor an der Außenwand von 0,70 ist gleichbedeutend mit 80% relative Feuchte (rF) an der Tapete an der Außenwand. Dies auch bei heutigem Standard-Klima in der Raumluft. Standard-Raumluftklima heute sind 50% rF bei 20°C. Diese 80% rF an der Wand werden sich dann zwangsläufig und unvermeidbar einstellen. Eine relative Feuchte von 80% auf der Wand gilt als „Schimmelpunkt-Feuchte“ [1].
Die DIN 4108 Teil 2 von 2003 gegen Schimmel ist schlicht auf genau diese Naturgesetzmäßigkeit ausgerichtet. Die Norm setzt lediglich einen Standard der Beurteilungsbedingungen bei -5°C außen. Und sie definiert Berechnungen nach einer Formel, in die die Außentemperatur eingeht. Dies erklärt dem besonders gut informierten Leser übrigens die Differenz zwischen 12,2°C und den 12,6°C der DIN. Der „Zielwert“ des Temperaturfaktors gegen Schimmel (ƒRsi ≥ 0,70) ergibt sich dann sozusagen von selbst. Siehe auch https://www.advisan.net/ursache-fuer-schimmel-in-der-wohnung-wandtemperatur-an-waermebruecken-messen/
Es gibt natürlich Wohnungen, in denen die Vorgaben an den Temperaturfaktor nicht erfüllt werden. Für diese sind Aussagen, welche Anforderungen gegen Schimmel bezüglich der maximal erlaubten relativen Luftfeuchtigkeit einem Bewohner
a) auferlegt werden können
b) so eben noch zumutbar oder
c) überhaupt zu schaffen sind,
allerdings im Regelfall nur schwer zu treffen. Einigermaßen realitätsnahe Einschätzungen sind nur bei Kenntnis der „Leckage-bedingten Gesamt-Luftwechselrate“ (passiv) des betreffenden Hauses möglich. Eine durchschnittliche Luftfeuchtigkeit von 43% z.B. dürfte in einem energetisch vollmodernisierten, weitestgehend luftdichten Haus nicht zu realisieren sein. Oder zumindest nur äußerst schwer. Eine durchschnittliche Luftfeuchtigkeit von 43% wäre erforderlich gegen Schimmel bei ƒRsi = 0,60.
Betrachtungen zur Anwendbarkeit der DIN 4108 Teil 2 von 2003 gegen Schimmel
Das eigentlich Neue an dem Temperaturfaktor der DIN 4108 von 2003 gegen Schimmel war: Er berücksichtigt, dass Schimmelpilze nicht erst bei Kondenswasserniederschlägen auf Bauteilen (d.h. bei 100% relative Feuchte, rF) wachsen. Sondern sich bereits bei Feuchtigkeitswerten ab 80% rF vermehren. Wird „Standard“-Raumluft (Stand heute: 50% rF, 20.0°C) auf 12,2°C abgekühlt, resultieren faktisch 80% rF und Schimmelpilze werden auswachsen.
Einen Temperaturfaktor von mindestens 0,70 sollte man gegen Schimmel heute anstreben. Dies auf allen Außenbauteilen eines Hauses, das moderne, luftdichte Fenster hat. Und dies unabhängig vom Baujahr des betreffenden Hauses. Schimmelpilze sind bezüglich der Erfordernisse für Wachstum nicht auf den zu einer bestimmten Zeit etablierten oder gültigen Temperaturfaktor einer DIN ausgerichtet. Sie sind nur an eine ausreichend hohe Feuchtigkeit der Wand gebunden!
Es stellt sich daher nicht im Vordergrund die Frage: Ist der Temperaturfaktor auf ein Haus, das älter als das Erscheinungsdatum der betreffenden DIN ist, anzuwenden, oder nicht? Von wesentlich größerer Bedeutung ist in Sachen Maßnahmen gegen Schimmel ist vielmehr die folgende Frage: Bei welchen Temperaturfaktoren ƒRsi müssen die Bewohner welche Maßnahmen zur sicheren Vermeidung von Schimmelpilzbefall auf Konstruktionen, die Wärmebrücken darstellen, ergreifen?
Maßnahmen gegen Schimmel bei Einhaltung der Vorgaben an die Wärmeisolierung
Ein Temperaturfaktor ƒRsi von mindestens 0,70 impliziert: Man misst im Winter (außen -5°C) gegen Schimmel am besten an keiner Wandstelle in einem auf 20°C beheizten Raum weniger als 12,6°C. Diesem Anspruch liegt die Tatsache zu Grunde, dass sich in Raumluft, die mit einer Absolutfeuchte von 8,6 g/m3 der „Norm“ entspricht (20°C und 50% relative Feuchtigkeit), bei einer Temperatur knapp über 12°C eine relative Luftfeuchtigkeit von 80% (= „biologischer Schimmelpunkt“) einstellen wird. Dies wird – früher oder später – Schimmelpilzwachstum zur Folge haben.
Temperaturfaktoren zwischen 0,70 und 0,80 erfüllen zwar die Vorgaben der DIN 4108 von 2003. Sie offenbaren aber bereits eine suboptimale Wärmeisolierung des Hauses. Die gegen Schimmel bzw. zur sicheren Vermeidung von Schimmelbefall einige Aufmerksamkeit der Bewohner erfordert. Auf Wänden mit solchen „grenzwertigen“ Wärmeabflüssen nach außen muss man Feuchtigkeit, die im Winter bei Lastspitzen (Raumbenutzung) niedergeschlagen wird, gegen Schimmel durch ein diszipliniertes, konsequent umgesetztes Heiz- und Lüftungsregime wieder nach außen abführen. Damit man über die Zeit keinen Feuchtigkeitsüberschuss aufbaut.
Maßnahmen gegen Schimmel bei Verfehlen der Vorgaben an die Wärmeisolierung
Ein Temperaturfaktor z.B. von 0,65 besagt nur: Eine Wand weist bei -5°C außen und 20°C Raumlufttemperatur nicht 12,6°C, sondern lediglich 11,3°C auf. Anders ausgedrückt: In einem Raum mit ƒRsi an Bauteilen von 0,65 darf bei -5°C außen nicht eine durchschnittliche absolute Raumluftfeuchtigkeit von 8,6 g/m3 (50% rF bei 20°C) vorherrschen. Diese muss man gegen Schimmel durch entsprechende Lüftungsmaßnahmen auf knapp über 8,0 g/m3 absenken (ca. 46% bei 20°C). Eine andere Möglichkeit zur Vermeidung von Schimmelpilzbefall an Bauteilen z.B. bei ƒRsi = 0,65 ist: Erhöhung der Bauteil-Grundtemperatur. Dies geht nur durch vermehrtes Heizen unter Beibehaltung der („Standard“) Absolutfeuchtigkeit der Raumluft (8,6 g/m3).
Bei einem Temperaturfaktor von 0,60 kommen sich Wadtemperatur und Taupunkt (freies Wasser, 100% rF) bedenklich nahe. Sie differieren dann nur um 0,8°Kelvin. Die Wandtemperatur ist dann 10,1°C, der Taupunkt liegt bei „Standardklima“ bei 9,3°C. Das hat zur Konsequenz, dass an so einer Wand nicht nur bereits bei kleinerer Unachtsamkeit der Raumbenutzer in Sachen Heizung und Belüftung Kondenswasser ausfallen wird. Bereits bei Lastspitzen im Laufe einer bestimmungsmäßen Nutzung eines Raumes (z.B. Kochen) wird Kondenswasser an der Wand entstehen. Bei einem Temperaturfaktor von 0,60 ist heutzutage bei der luftdichten Bauweise und der entsprechenden umgreifenden Umrüstung von Altbauten Schimmelbefall quasi nicht mehr zu vermeiden. Zu Kondenswasser siehe https://www.advisan.net/ursache-fuer-schimmel-in-der-wohnung-bewertung-der-wandtemperatur-4/
Persönliche Positionierung des Autors in dieser Angelegenheit
Der Autor wird als Gutachter immer wieder mit der folgenden Auslegung konfrontiert: Die Neufassung der DIN 4108 Teil 2 mit dem Temperaturfaktor ƒRsi gegen Schimmel sei nicht auf Gebäude anzuwenden, die älter als das Erscheinungsdatum der DIN von 2003 sind. Dies analog betreffend die Frage nach dem allgemein anerkannten Stand der Technik einer Zeit. Meiner Meinung nach disqualifiziert sich dieser Standpunkt aber moralisch. Er richtet sich im Allgemeinen gegen Weiterentwicklungen im baulichen Lebensstandard. Im Besonderen weist er die Zuständigkeit bei reellem Nachbesserungsbedarf an einem Gebäude, der sich in einem Zeitverlauf offenbart, schlicht Bewohnern zu.
Es stellt sich m.E. nämlich im Vordergrund in Sachen Maßnahmen gegen Schimmel die folgende Frage: Wie erkennt der Bewohner einer „älteren“ Wohnung von vorneherein – in einem Mietverhältnis also bei Mietantritt -, welcher Grenzwert der Raumluftfeuchtigkeit bei bestimmten außenklimatischen Verhältnissengegen Schimmel nicht überschritten werden darf. Im Regelfall werden bauphysikalische Betrachtungen gegen Schimmel und entsprechende Expertisen erst dann vorgenommen bzw. angefertigt, wenn Schimmelbefall bereits entstanden ist. Und es vielleicht deshalb schon Streit gibt. Nur in seltenen Ausnahmefällen wird gegen Schimmel ein Zielwert definiert und vereinbart, bevor sich eine „Schimmelproblematik“ manifestiert hat.
Abb. 1: Explosionsartig aufgetretener Schimmelbefall an Wärmebrücken nach einer Fenstermodernisierung. Die Wandflächen waren vorher viele Jahre schimmelfrei! |
Erreicht man eine Bauteiltemperatur von 12,6 bei -5°C außen und 50% rF und 20°C innen nicht, entsteht künftig wahrscheinlich irgendwann ein Schimmelbefall. Nach Auffassung des Unterzeichners sollte ein Wohnungseigentümer in einem Haus mit weitestgehend luftdichten, isolierverglasten Fenstern gegen Schimmel einen Temperaturfaktor von mindestens 0,70 auf allen Außenbauteilen anstreben. Dies unabhängig vom Baujahr des betreffenden Hauses und außer der Fenster selbst.
Empfehlung gegen Schimmel
Aus dem Vorangestellten und den täglichen Erfahrungen, die der Unterzeichner mit fenstermodernisierten Altbauten macht, kann man die Empfehlung ableiten, Wohnungen mit Lüftungshilfen auszurüsten. Diese sollten die relative Feuchtigkeit an der Wand messen und dem Bewohner anzeigen. Dann kann das Heiz- und Lüftungsverhalten wesentlich verlässlicher an die spezifischen bauphysikalischen Gegebenheiten der bewohnten Wohnung angepasst werden. Siehe hierzu https://www.advisan.net/lueftungshilfe-schimmelwaechter-wandfeuchtemessgeraet/
Anmerkung: Der Autor ist bei der IHK Hannover Öffentlich bestellt und vereidigt als Sachverständiger für Schimmelpilze und Feuchtigkeit in Innenräumen. Dr. Thomas Missel ist promovierter Mikrobiologe und als Gutachter in Hannover und Niedersachsen tätig.
[1] wird „Standard“-Raumluft (Stand heute: 50% rF, 20,0°C) auf 12,2°C abgekühlt, resultieren faktisch 80% rF und Schimmelpilze können auswachsen (= biologischer Schimmelpunkt). Die DIN 4108 Teil 2 ist auf diese Naturgesetzmäßigkeit ausgerichtet. Diese DIN setzt lediglich einen Standard der Beurteilungsbedingungen bei -5°C außen und definiert Berechnungen nach einer Formel (s.o.), in die die Außentemperatur eingeht (was die Differenz zwischen 12,2°C und den 12,6°C der DIN erklärt). Der „Zielwert“ des Temperaturfaktors (ƒRsi ≥ 0,70) ergibt sich dann sozusagen von selbst.