Schimmel und Beurteilung von Wärmebrücken Teil 2:

Messtechnische Grenzen bei der Bestimmung der Wandtemperatur

Wandtemperatur, Wärmedämmung und Ursache für Schimmel

Dieser Beitrag baut auf dem Beitrag 1 dieser Fachinformationsreihe auf. Hier geht es um allgemeine Grundlagen und unvermeidbare Messfehler bei der Feststellung der genauen Ursache für Schimmel an Wärmebrücken in der Wohnung. Letztendlich ist die eigentliche Ursache für Schimmel in der Wohnung ja immer zu viel Feuchtigkeit an der Wand. Die Feuchtigkeit kommt entweder aus der Wand heraus (sog. „Baufeuchte“) oder wird durch Abkühlung der Innenraumluft auf der Wand niedergeschlagen („Kondensfeuchtigkeit“). Auch heute noch spielen bei Problemen mit Kondensfeuchtigkeit verhältnismäßig häufig Schwächen der Wärmedämmung an Wärmebrücken wie beispielsweise in einer Außenecke oder an dem Fensteranschluss zur Wand eine maßgebliche Rolle.

Vom Fachmann wird die Güte der Wärmedämmung schimmelbefallener und / oder mit Kondensfeuchtigkeit beaufschlagter Wände eines Hauses meistens über den so genannten TemperaturfaktorRsi) beurteilt. Die Mindestanforderungen an den Temperaturfaktor sind in der DIN 4108 Teil 2 festgeschrieben[1]Rsi ≥ 0,70). Der Temperaturfaktor errechnet sich durch

(1)ƒRsi = (θsi – θe) / (θi – θe) mit

θsi          = die raumseitige Oberflächentemperatur,

θi         = die Innenlufttemperatur,

θe        = die Außenlufttemperatur.

Als Randbedingungen liegen eine Raumlufttemperatur und –feuchtigkeit von 20°C und 50% (absolute Feuchte ≈ 8,6 g/m3) und eine Außenlufttemperatur von -5°C zu Grunde. Dementsprechend darf die Oberflächentemperatur θsi bei diesen Randbedingungen nach Gleichung (1) nicht unter 12,6°C liegen[2].

Kann man die Wandtemperatur überhaupt ganz genau messen?

Der Temperaturfaktor ƒRsi wird in vielen Gutachten über die Ursache für Schimmel in der Wohnung mit einer Genauigkeit von drei Nachkommastellen (z.B. 0,696) angegeben. Die Ausweisung eines Messergebisses mit drei Nachkommastellen gibt indes eine Bestimmungsgenauigkeit bei der Wandtemperaturmessung in der Wohnung vor, die im Grunde genommen nicht existiert.

Für eine punktgenaue Temperaturmessung bei bauphysikalischen Betrachtungen in Zusammenhang mit Schimmel in der Wohnung sind die hierfür konzipierten Messsysteme nämlich nicht ausgelegt.

Für den Fall eines Messfehlers nach oben und unten von 0,2 Kelvin (K) je Fühler und den alternativen, übrigens rein hypothetischen Fall eines Messfehlers von 0,0 K werden anhand der Gleichung (1) exemplarisch separate Berechnungen der Temperaturfaktorbestimmung eröffnet wie folgt:

 

 a) Messfehler jew. 0,0 K        b) Messfehler jew. 0,2 K
 1. „wahre“ Temperatur außen:        -5,0°C   1. gemessene Temperatur außen:       -4,8°C
 2. „wahre“ Temperatur innen:        20,0°C   2.  gemessene Temperatur innen:      20,2°C
 3. wahre“ Temperatur Wand:         12,6°C   3.  gemessene Temperatur Wand:      12,4°C
 „wahrer“ ƒRsi:                               0,704       gemessener ƒRsi:                               0,688

Siehe hierzu auch https://www.advisan.net/ursache-fuer-schimmel-in-der-wohnung-wandtemperatur-an-waermebruecken-messen/

Die Abweichung beträgt schon bei dem obigen, relativ „optimistischen“ Szenario immerhin erhebliche 1 bis 2%. Die Messfehler der meisten der heute von Gutachtern benutzten Temperaturmessgeräte dürften entsprechend deutlich höher liegen.

Was sind die Konsequenzen dieser generellen Messfehler?

Der Temperaturfaktor ƒRsi kann im allergünstigsten Fall mit einer Genauigkeit von ± 2% bestimmt und angegeben werden. Selbst unter optimalen Bedingungen und bei ausschließlicher Verwendung hochwertigen Messequipments. Und übrigens auch im Falle einer Messdatenaufzeichnung und einer Datenmittelung über mehrere Wochen (so genanntes „Daten-Logging“). Dabei wird dieser Fehler unter dem Strich ebenfalls nicht vermeidbar sein. Das hat die systematische Verfahrensprüfung eindrücklich gezeigt.

Die Einschätzung des Verfassers dieses Beitrags, Gutachter für Schimmelpilze und Feuchtigkeit in Hannover, ist die folgende: Selbst bei gewissenhafter Ausführung und Verwendung maximal präziser Temperaturmessgeräte ist ein grundsätzlicher (= unvermeidbarer) Messfehler bei der Temperaturfaktorbestimmung von 3% realistisch. Dies bedeutet sofern, dass bei einem messtechnisch ermittelten Temperaturfaktor ƒRsi von 0,72 ebenso von 0,69 oder 0,75 die Rede sein kann.

Kann man den Messfehler einer Expertise irgendwie beziffern?

Zur Quantifizierung der Messfehler bei der Feststellung der Ursache für Schimmel in der Wohnung hat der Autor an einer geometrischen Wärmebrücke in einem älteren Wohnhaus eine systematische Langzeitstudie durchgeführt. Bei dieser Studie wurde ein- und dasselbe Bauteil des Wohnhauses immer wieder neu nach DIN 4108 beurteilt. Der „wahre“ ƒRsi war mit 0,69 vorher genau bekannt. Für die Studie wurden schließlich relativ genau messende Temperaturmessgeräte benutzt. Gemessen wurde mit Datenloggern über jeweils 19 Tage in drei aufeinanderfolgenden Wintern. Die Ergebnisse dieser systematischen Prüfungen anhand von Langzeitmessungen zeigt die folgende Abbildung.

Ursache für Schimmel in der Wohnung

Ursache für Schimmel in der Wohnung

Abb.1: Ergebnisse von 12 Langzeit-Temperaturfaktorbestimmungen über jeweils 19 Messtage an einem Deckenbauteil eines Wohnhausaltbaus: Kleinster und größter Temperaturfaktor ƒRsi liegen demgemäß um einen Wert von 0,063 auseinander. Mit anderen Worten: Der Fehler übersteigt 6%!

Die Ergebnisse dieser wissenschaftlich-systematischen Expertise belegen eindeutig: Die Temperaturfaktorbestimmung anhand gemittelter Messwerte (19-Tage-„Logging“) ist beim Feststellen der Ursache für Schimmel in der Wohnung mit einem großen Fehlerpotenzial behaftet. Kleinster und größter Temperaturfaktor ƒRsi differierten immerhin um mehr als 6%!

Die Abweichungen der Bauteilbeurteilungen fallen erfahrungsgemäß umso höher aus, je stärker die Außentemperaturen im jeweiligen Messzeitraum schwanken. Dies kann man übrigens mit den unterschiedlichen physikalischen Vorgängen bei der Wärmeenergieaufnahme und -abgabe von Festkörpern recht gut erklären. Eine Bezifferung des Messfehlers einer Expertise ist wiewohl ebenso wenig möglich wie eine nachträgliche Datenkorrektur. Dies liegt nicht nur in der Vielfältigkeit der Einflussfaktoren, sondern auch der Komplexität deren Zusammenspiels begründet.

Was sind die Konsequenzen der unvermeidbaren Messfehler?

Die Fehler bei einer Bauteilbeurteilung mit dem Temperaturfaktor ƒRsi und der Messdatenaufnahme hierzu mit Datenloggern über ca. 14 bis 21 Tage sind also nicht zu unterschätzen. Unvermeidbare Abweichungen bei Wiederholungsmessungen können ohne Zweifel als „erheblich“ bewertet werden. Die Folgen z.B. für die Benennung der Ursache für Schimmel und einen Mietrechtsstreit vor Gericht können letztendlich gravierend sein. Ob der Gutachter bei der Findung der Ursache für Schimmel zu der Einschätzung gelangt, dass beim Heizen und Lüften Fehler gemacht wurden oder er die Wärmedämmung der Wand als baulich mangelbehaftet beurteilt, wird u.U. von dem Maß der Beständigkeit der Außenbedingungen in Sachen Strahlungsintensität, Temperatur und Sonnenstand im Beurteilungszeitraum und somit zu erheblichen Teilen vom Zufall bestimmt!

Das gesamte Fehlerpotenzial der als „Stand der Technik“ anerkannten Langzeit-„Loggermethode“ wird also vom Autor dieses Beitrags nicht geringer eingeschätzt als das der gewissenhaft durchgeführten 1-Punkt-Betrachtung, bei der die Bauteiltemperatur anhand einer „Stichpunktmessung“ an einem einzigen Ortstermin ermittelt wird.

Siehe Detailinformationen zu diesem Thema unter https://www.advisan.net/ursache-fuer-schimmel-an-waermebruecken-in-der-wohnung-bewertung-der-wandtemperatur-3/

Anmerkung: Der Autor ist promovierter Mikrobiologe und bei der IHK Hannover Öffentlich bestellt und vereidigt als Sachverständiger für Schimmelpilze und Feuchtigkeit in Innenräumen und als Gutachter in Hannover und Niedersachsen tätig.

[1] ANONYM (2003): DIN 4108 – Wärmeschutz und Energie-Einsparung in Gebäuden. Teil 2: Mindestanforderungen an den Wärmeschutz. 2013-02

[2] wird „Standard“-Raumluft (Stand heute: 50% rF, 20,0°C) auf 12,2°C abgekühlt, resultieren faktisch 80% rF und Schimmelpilze können auswachsen (= biologischer Schimmelpunkt, vgl. Kap. 2.1). Die DIN 4108 Teil 2 ist auf diese Naturgesetzmäßigkeit ausgerichtet. Diese DIN setzt lediglich einen Standard der Beurteilungsbedingungen bei -5°C außen und definiert Berechnungen nach einer Formel (s.o.), in die die Außentemperatur eingeht (was die Differenz zwischen 12,2°C und den 12,6°C der DIN erklärt). Der „Zielwert“ des Temperaturfaktors (ƒRsi ≥ 0,70) ergibt sich dann sozusagen von selbst.