Beurteilung von Wärmebrücken Teil 4:

Luftdichtigkeit der Wohnung und Vermeidung von Schimmel

Die Anfälligkeit der Wohnung für Schimmel nimmt zu!

Die Fallzahlen von Schimmel in der Wohnung haben hierzulande in den letzten Jahren stark zugenommen. Wie kommt das? Dieser 4. Beitrag der Fachinformationsreihe zum Thema Beurteilung von Wärmebrücken bei Schimmel in der Wohnung baut auf Teil 1 der Reihe auf. Siehe https://www.advisan.net/ursache-fuer-schimmel-in-der-wohnung-wandtemperatur-an-waermebruecken-messen/. Hier geht es um die allgemeine Luftdichtigkeit der Wohnung heute und die besonderen Anforderungen dadurch an das Benutzerverhalten zur Vermeidung von Schimmel. Der Beitrag erklärt die Entstehung von Kondenswasser an der Wand, eine wesentliche Ursache für Schimmel in der Wohnung.

Ursachen für Schimmel in der Wohnung gibt es zwar ebenso viele, wie es Quellen für Feuchtigkeit in Wohnungen gibt. Die zunehmende „Schimmelanfälligkeit“ der Wohnung heute kann man trotzdem ziemlich leicht erklären: Die durchschnittliche Raumluftfeuchtigkeit hat sich gegenüber früher Zeit erheblich erhöht. Dies liegt an der heute insgesamt viel luftdichteren Bauweise, insbesondere der Fenster. Was bedeutet dies für die Vermeidung von Schimmel in der Praxis?

Weniger luftdicht gebaut heißt leichtere Vermeidung von Schimmel!

Bauphysikalische Betrachtungen zur Vermeidung von Schimmel an Wärmebrücken in der Wohnung legen heute eine relative Luftfeuchtigkeit (rF) von 50% bei 20°C Raumtemperatur zu Grunde. Bei 20°C und 50% relative Feuchte trägt ein Kubikmeter Luft 8,6 Gramm Wasser. Das heißt, die absolute Feuchte beträgt 8,6 g/m3. In früherer Zeit legte man bauphysikalischen Berechnungen noch durchschnittliche Raumluftfeuchten mehr oder weniger deutlich unter 50% rF (bei 20°C Raumtemperatur) zu Grunde. Heute indes ist eine Luftfeuchte z.B. von 40% bei 20°C (aF = 6,9 g/m3), wie sie vielleicht in den 70er Jahren noch üblich war, mit allgemein üblichem und zumutbarem Lüften kaum noch zu bewerkstelligen. Die Vermeidung von Schimmel ist dementsprechend heute grundsätzlich schwerer als in früherer Zeit.

Was ist das Problem der Luftdichtigkeit?

Ein ganz besonders großes physikalisches Problem bei der Vermeidung von Schimmel in der Wohnung sind die dichtheitsbedingt hohen Feuchtigkeits-Lastspitzen. Hohe Lastspitzen gibt es ständig schon im „normalen“ Wohnalltag. Beim Kochen oder Duschen können die Luftfeuchten wegen der Luftdichtigkeit der Fenster in einer gesamten Wohnung rapide auf problematische Werte ansteigen. Von Luftfeuchten von 65% bis 70% rF bei 20°C ist hier die Rede! Die Luftfeuchtigkeit bei Lastspitzen kann ohne weiteres so hoch sein, dass schon an schwächeren Wärmebrücken Kondenswasser entsteht. Kondenswasser heißt, dass freies Wasser als Tröpfchen ausfällt. An Betondecken in der Ecke zweier nicht 100%ig optimal wärmegedämmter Außenwände passiert dies zum Beispiel häufig.

Kondenswasser muss unbedingt vermieden werden!

Die Gesetzmäßigkeiten der Thermodynamik erklären, weshalb Kondenswasser ein so großes Problem in der Wohnung darstellt: Es kann mit herkömmlichen Lüftungsmaßnahmen nicht abgelüftet werden! Wasser hat eine sehr hohe Verdampfungsenthalpie. Einfach ausgedrückt heißt das, dass man relativ viel Energie aufbringen muss, um flüssiges Wasser zu verdampfen. Im Gegensatz z.B. zu Alkohol, der relativ leicht verdampft. Die Verdampfungsenergie wird wieder als Wärme frei, sobald sich das Luft-Wasserdampf-Gemisch abkühlt und freies Wasser als Tröpfchen auskondensiert. Diese Wärme wird dann an die Umgebung abgegeben.

Was bedeutet das für die Vermeidung von Schimmel in der Praxis?

Kondenswasser ist also ein Energie-armer Zustand. Ohne Zufuhr von viel Heizenergie kann Kondenswasser nicht wieder von der Wand verdampfen und anschließend nach außen abgelüftet werden. Hieraus leitet sich entsprechend diese Anforderung ab: Einen übermäßig feuchtigkeitsbelasteten Raum, in dem Kondenswasser bereits entstanden ist, muss man vor dem Lüften unbedingt beheizen. Zum einen, um Kondenswasser wieder verdunsten zu lassen. Zum anderen kann warme Luft natürlich auch mehr Wasserdampf aufnehmen als kalte Luft. Ohne Hinzuziehung der Heizung beim Lüften ist in Altbauten eine Vermeidung von Schimmel deshalb meistens nicht möglich.

Bild 1 Vermeidung von Schimmel

Bild 1 Vermeidung von Schimmel

Abb. 1: In das Ablüften von Kondenswasser muss die Heizung einbezogen werden.

Eine Altbau-„Renovierung“ beinhaltet heute oftmals lediglich einen Fensteraustausch. Wie beschrieben kommt es dadurch zwangsweise zu einem Anstieg der durchschnittlichen Luftfeuchtigkeit in den Wohnräumen. Wenn parallel zum Fensteraustausch eine bauphysikalische Anpassung der Wärmebrücken (d.h. eine Ertüchtigung der Wärmedämmung) ausgelassen wird, kommt es sehr häufig zu einem spontanen Schimmelpilzbefall. Dies in beachtlicher Intensität und auf großer Fläche.

Wie beurteilt der Gutachter die „Güte“ der Wärmedämmung der Wand?

In Gutachtenangelegenheiten werden die Wärmedämmeigenschaften einer Wand meistens anhand des so genannten TemperaturfaktorsRsi) beurteilt. Die Mindestanforderungen an den Temperaturfaktor sind in der DIN 4108 Teil 2 beschrieben (ƒRsi ≥ 0,70) [1]. Der Temperaturfaktor errechnet sich durch

(1) ƒRsi = (θsi – θe) / (θi – θe) mit

θsi          = die raumseitige Oberflächentemperatur,

θi         = die Innenlufttemperatur,

θe        = die Außenlufttemperatur.

Als Randbedingungen liegen eine Raumlufttemperatur und –feuchtigkeit von 20°C und 50% (absolute Feuchte ≈ 8,6 g/m3) und eine Außenlufttemperatur von -5°C zu Grunde. Nach (1) darf die Oberflächentemperatur θsi bei diesen Randbedingungen nicht unter 12,6°C liegen[2]. Diese 12,6°C sind ein weit bekanntes Bauteilkriterium bei Schimmel.

Was bedeutet ein Temperaturfaktor für die Vermeidung von Schimmel?

Ein Temperaturfaktor z.B. von ƒRsi = 0,65 besagt folgendes: Ein Bauteil hat bei -5°C außen und 20°C Innenraumlufttemperatur nicht die erforderlichen 12,6°C, sondern lediglich 11,3°C . In einem Raum mit ƒRsi an Bauteilen von 0,65 ist eine Vermeidung von Schimmel bei Frost außen nur möglich, wenn die absolute Raumluftfeuchtigkeit nicht bei 8,6 g/m3 liegt („Standard“: 50% relative Feuchte bei 20°C). Sondern mittels entsprechender Lüftungsmaßnahmen auf ca. 8,0 g/m3 eingestellt wird. Bei Vorhandensein von Problemstellen mit ƒRsi von 0,65 ist zur Vermeidung von Schimmel erfahrungsgemäß sehr gut überlegtes und konsequent umgesetztes Lüften und Heizen nötig. Nur bei Einbeziehung der Heizung in das Lüften kann man das bei Lastspitzen in Wandbeläge eingelagerte Wasser wieder „ablüften“.

Wann ist eine Vermeidung von Schimmel nicht mehr möglich?

Bei einem Temperaturfaktor ƒRsi von 0,60 liegen Wandtemperatur und Taupunkt (freies Wasser) bei „Standardklima“ nur 0,8 ° Kelvin auseinander (10,1°C ↔ 9,3°C). Das bedeutet, dass an einer entsprechenden Oberfläche nicht nur bei Unachtsamkeit der Bewohner in Sachen Heizen und Lüften, sondern bereits bei bestimmungsgemäßer Nutzung eines Raumes (z.B. in der Küche) freies Wasser auskondensieren wird. Bei einem Temperaturfaktor von 0,60 und luftdichter Bauweise sind Schimmelbildungen nach den Erfahrungen des Unterzeichners nicht mehr zu vermeiden.

Temperaturfaktoren zwischen 0,70 und 0,80 offenbaren bereits eine nicht optimale Wärmeisolierung der Gebäudehülle, die nach den Erfahrungen ein aufmerksames Nutzerverhalten zur Vermeidung von Schimmelpilzbildungen erforderlich macht. Dies gilt insbesondere für moderneren, weitestgehend luftdichten Wohnraum, in dem Feuchtigkeit sehr schnell in der Raumluft angereichert wird.

Anmerkung: Der Autor ist promovierter Mikrobiologe und bei der IHK Hannover Öffentlich bestellt und vereidigt als Sachverständiger für Schimmelpilze und Feuchtigkeit in Innenräumen und als Gutachter in Hannover und Niedersachsen tätig.

[1] ANONYM (2003): DIN 4108 – Wärmeschutz und Energie-Einsparung in Gebäuden. Teil 2: Mindestanforderungen an den Wärmeschutz. 2013-02

[2] wird „Standard“-Raumluft (Stand heute: 50% rF, 20,0°C) auf 12,2°C abgekühlt, resultieren faktisch 80% rF und Schimmelpilze können auswachsen (= biologischer Schimmelpunkt). Die DIN 4108 Teil 2 ist auf diese Naturgesetzmäßigkeit ausgerichtet. Diese DIN setzt lediglich einen Standard der Beurteilungsbedingungen bei -5°C außen und definiert Berechnungen nach einer Formel (s.o.), in die die Außentemperatur eingeht (was die Differenz zwischen 12,2°C und den 12,6°C der DIN erklärt). Der „Zielwert“ des Temperaturfaktors (ƒRsi ≥ 0,70) ergibt sich dann sozusagen von selbst.